Man merkt immer mehr, dass im Herbst eidgenössische Wahlen sind. Die Debatte um die Zuwanderung wird auf allen Kanälen geführt. Die Ausgangslage ist ideal: Letztes Jahr sind ca. 80'000 Menschen in die Schweiz gekommen und die Wohnungsnot in den Städten nimmt zu. Ein Steilpass für das Kernthema der SVP, das muss man neidlos anerkennen.
Diesmal verbindet die Rechtspartei das Zuwanderungsthema ganz zeitgeistig mit dem Umweltschutz. Ihre Einwanderungsstopp-Initiative heisst nun Nachhaltigkeits-Initiative. Dass die SVP gleichzeitig gegen das Klimaschutzgesetz das Referendum ergriffen hat, ist nur einer der Widersprüche dieser Partei. Ihre Lösung heisst wie immer: Verhandlungen mit der EU zur Einschränkung der Personenfreizügigkeit führen – im Wissen darum, dass die EU dazu nicht bereit ist. So ist die Zuwanderungsdebatte das perpetuum mobile der SVP-Symbolpolitik. Man bringt keine Lösungen zur Bremsung der Zuwanderung und kann das Thema damit ewig bewirtschaften. Den Anfang machte in den 1970er Jahren die Schwarzenbach-Initiative gegen die italienischen Gastarbeiter.
Aber warum ist die Zuwanderung wieder höher? Ganz einfach, weil die Wirtschaft brummt und wir einen grossen Fachkräftemangel haben. Die kleine Schweiz gehört zu den Top-20 Volkswirtschaften der Welt. Sie hat im Vergleich zur Einwohnerzahl eine enorm grosse Wirtschaft. Ihr Geschäftsmodell war und ist hauptsächlich auf den Export ausgerichtet. Der Binnenmarkt ist viel zu klein, um den hohen Wohlstand im Land zu ermöglichen.
In den letzten 20 Jahren wurden, unter gütiger Mithilfe der SVP, drei Mal die Unternehmenssteuern gesenkt, damit die Schweiz im internationalen Standortwettbewerb gewinnen kann. Und das mit Erfolg: Dutzende internationale Konzerne haben sich in der Schweiz angesiedelt, mit einem grossen Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften. Wer also die Zuwanderung nachhaltig bremsen will, sollte die Steuern für Konzerne erhöhen. Diese bringen der Schweiz zwar viel Wohlstand, aber eben auch sehr viele Menschen, die dort arbeiten. Doch das will die bürgerliche Schweiz um keinen Preis. Dazu verbrüdern sich die Wirtschaftsverbände lieber mit dem Bauernverband, obwohl der gegen alle Freihandelsabkommen ist, wenn diese den Agrarschutz der Schweiz gefährden könnten.
Der grosse Fachkräftemangel in der Schweiz ist auch darauf zurückzuführen, dass die Berufslehre mit ihren weiterqualifizierenden höheren Fachschulen an Attraktivität verloren hat. Um diese aufzuwerten, hat der Nationalrat entschieden, den höheren Berufsausbildungen den international gebräuchlichen «Professional Bachelor» als Abschlusstitel zu verleihen. Dagegen hat sich der Dachverband der Hochschulen, Swiss Universities, massiv und im Ständerat erfolgreich gewehrt, weil er ‘seine’ akademischen Titel bedroht sah. Dieser akademische Dünkel wird den Fachkräftemangel verstärken und damit auch wieder die Zuwanderung. Gerade für die praktische Umsetzung der Energiewende brauchen wir dringend Berufsleute mit tertiärer Weiterbildung.
Bleiben noch die gut ausgebildeten Frauen, die ja mehrheitlich erwerbstätig sind, allerdings in eher kleinen Pensen. Sie sollen den Beschäftigungsgrad erhöhen, das ist die Forderung der Stunde. Doch auch Mütter können rechnen. Wenn sie die Kita-Kosten und die höhere Steuerprogression beim Zweiteinkommen zusammenrechnen, bleibt wenig vom zusätzlichen Lohn übrig. Dazu bräuchte es günstige Kita’s und die Individualbesteuerung, sonst lohnt sich der Aufwand kaum. Doch die konservative Schweiz ist da strikt dagegen. Insbesondere die SVP verteidigt verbissen das traditionelle Familienmodell.
Man kann es drehen und wenden, wie man will: die hohe Zuwanderung ist hausgemacht. Am meisten freuen darf sich darüber die SVP. Denn so wird sich das perpetuum mobile der Schweizer Politik, die Zuwanderungsdebatte, noch lange munter weiterdrehen lassen.
Erschienen in der BaZ vom 17.03.23