Anita Fetz Medien Echo.  
1999 «Da werde ich zur Tigerin»
FACTS-Interview vom 5.8.1999 (FACTS, Nummer 31)
Autoren/Interview: Urs Zurlinden und Thomas Senn

«Da werde ich zur Tigerin»
Die Unternehmerin und Feministin Anita Fetz hat bereits Erfahrungen als Nationalrätin. Jetzt hofft sie, dass ihr im Parlament nicht wieder mit einer Ohrfeige gedroht wird.
FACTS: Weshalb wollen Sie unbedingt in den Nationalrat?
FETZ: Unbedingt kann man streichen. Ich will mich dafür engagieren, dass die Politik mehr gestaltet statt verwaltet. Die Schweiz darf nicht in Reich und Arm auseinander driften.
FACTS: Frau Fetz, wie hoch ist der aktuelle Börsenkurs der Basler Kantonalbank?
FETZ: Etwas gesunken. Aber die genaue Zahl?
FACTS: Sollten Sie das etwa nicht wissen?
FETZ: Nein. Ich bin weder eine Zinsli-Pickerin noch eine Shareholder-Fetischistin.
FACTS: Aber Sie sitzen im Bankrat ...
FETZ: ... sogar im Ausschuss ...
FACTS: ... und im Verwaltungsrat der Alternativen Bank.
FETZ: Nicht mehr. Eine Bank genügt, mehr wäre schlechter Stil.
FACTS: Was sagen Sie den Bänklern?
FETZ: Dass sie bei allen Geldgeschäften gewisse ethische Randbedingungen nicht vergessen sollen.
FACTS: Nämlich?
FETZ: Kerngeschäft einer Kantonalbank ist, die regionale Wirtschaft, die kleinen und mittleren Unternehmen und die Leute beim Sparen, bei anständigen Anlagen und beim Häuslebauen zu unterstützen und nicht, in riesigen internationalen Spekulationen herumzusurfen.
FACTS: Die Ex-Poch-Aktivistin bewegt sich in Bankier-Kreisen. Ein erstaunlicher Wandel.
FETZ: In den Siebzigerjahren bin ich, wie viele Linke, vor den Banken gestanden und habe Flugblätter gegen deren Südafrika-Goldpolitik verteilt. Schon damals fragten wir uns, wohin soll eigentlich unser Geld? Deshalb war ich bei der Gründung der Alternativbank beteiligt. Diese Werte vertrete ich auch heute in der BKB.
FACTS: Einer Durchleuchtung ihrer Geschichte hat sich die Basler Kantonalbank vehement widersetzt.
FETZ: Ich auch! Als Historikerin habe ich alles Interesse, dass die Nazi-Geschäfte aufgedeckt und die Opfer entschädigt werden. Aber es ist eine Frechheit, wie sich dabei internationale Treuhandbüros bereichern - mit 500 Franken pro Stunde.
FACTS: Sie wollten eine Billigversion der Geschichte.
FETZ: Darum gehts überhaupt nicht. Was ich kritisiere, sind die Geschäftspraktiken gewisser Treuhandfirmen. Es ist nicht alles legitim, nur weil eine historische Schuld existiert. Und diesen Stundenlohn empfinde ich als Abriss.
FACTS: Wie hoch ist Ihr Stundenlohn?
FETZ: Nicht einmal die Hälfte.
FACTS: Also 200 Franken?
FETZ: Ungefähr, ja.
FACTS: So viel verdient ein Büezer nicht einmal pro Tag.
FETZ: Das müsste man umrechnen. Wie hoch ist der durchschnittliche Monatslohn in der Schweiz? 5000 Franken? Allerdings: Ich bin selbstständig. Deshalb, weil ich alle Abgaben selber bezahle, kann man meinen Lohn halbieren.
FACTS: Was halten Sie von Ursula Koch?
FETZ: Von ihr wünsche ich mir, gerade jetzt im Vorwahlkampf, etwas mehr präsidiales Auftreten.
FACTS: Also mehr Präsenz.
FETZ: Vielleicht ist sie ja im Moment in den Ferien.
FACTS: Das fänden Sie weniger gut?
FETZ: Nun, ja. Geärgert hab ich mich, als die Auseinandersetzung über Blochers Maulkorb-Initiative stattfand. Da konnte sich die FDP allein zur Verteidigerin demokratischer Werte aufschwingen, von der SP hat man fast nichts gehört.
FACTS: Koch will Grundwerte-Diskussionen führen.
FETZ: Aufgabe einer linken Regierungspartei ist doch, eine aus Grundwerten angewandte Politik zu machen. Die Grundwerte an sich sind nämlich klar: Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit, Solidarität und Chancen-Gleichheit.
FACTS: Ist Kochs Strategie also falsch?
FETZ: Ich glaub nicht an diese Strategie.
FACTS: Dann ist Frau Koch eine Fehlbesetzung?
FETZ: Nein, aber sie hat zu lange gewartet, bis sie ihre Nationalrats-Kandidatur bekannt gegeben hat. Das hab ich nicht verstanden.
FACTS: Sie waren einst die Vorzeigefrau der Feministinnen. Heute ist Ihnen beim Begriff «Frauen-Solidarität», ein Standard der SP, unwohl.
FACTS: Ich bin tatsächlich nicht mit allen Frauen solidarisch, auch früher nicht. Im Gegenteil. Für mich heisst Frauensolidarität, dass man dort, wo man inhaltlich gleicher Meinung ist, Lobbying betreibt, Netzwerke aufbaut und Pressure-Groups für mehr Rechte und Einfluss für Frauen bildet.
FACTS: Was haben Sie am Abend des 13. Juni gemacht?
FETZ: Am 13. Juni? Was war denn da?
FACTS: Die Abstimmung zur Mutterschafts-Initiative.
FETZ: Ah, klar! Da reagiere ich schon mit Verdrängen.
FACTS: Bei der Mutterschafts-Initiative haben die Frauen-Netzwerke versagt.
FETZ: Die Pseudoform von Frauensolidarität, die ich bis zu dieser Abstimmung sogar mitgetragen habe, ist mir inzwischen ein Graus. Meine persönliche Erkenntnis ist: Ich mache keine Bündnisse mehr mit Frauen, die in ihren Parteien die Basis nicht zu dem bringen, was sie selber wollen.
FACTS: Wonach riechen Sie? Parteiinterne Kritiker werfen Ihnen vor, Sie hätten keinen SP-Stallgeruch.
FETZ: Das müssen Sie diese Kritiker fragen.
FACTS: Wir möchten es gerne von Ihnen hören.
FETZ: Ich bin - und das seit 20 Jahren - ein Teil der Linken, ein Teil der Frauenbewegung und ein Teil der Anti-AKW-Bewegung in der Schweiz.
FACTS: Aber kein Teil der SP?
FETZ: Ich bin nun seit drei Jahren in der SP. Fragt sich halt, wie lange es dauert, bis man SP-Stallgeruch annimmt.
FACTS: Peter Bodenmann hat Sie als «eine Linke mit einem kräftigen Schuss Realitätssinn und geringer Ideologisierung» beschrieben. Stimmt das?
FETZ: Das stimmt.
FACTS: Und wie beschreiben Sie Bodenmann?
FETZ: Wegen ihm bin ich in die SP eingetreten. Denn ich dachte: Endlich kein schlaffer Laden mehr. Sondern eine linke Partei mit Konzepten und Profil.
FACTS: Nun ist Bodenmann ins Wallis abgetaucht. Ist die SP wieder ein schlaffer Laden?
FETZ: Noch nicht. Aber Peters Fähigkeit, das Agenda-Setting in einem solchen Tempo voranzutreiben, war einzigartig.
FACTS: Das könnten Sie ja übernehmen. Werden Sie Ursula Koch antreiben?
FETZ: Ich will nicht jemanden antreiben, sondern konkrete Projekte machen. Zudem kenne ich die Gruppendynamik der grossen SP-Fraktion nicht.
FACTS: Helmut Hubacher hat Ihnen ein gewisses «Showtalent» attestiert. Fühlen Sie sich geschmeichelt?
FETZ: Geschmeichelt nicht. Aber es gehört zum Job einer Politikerin, Inhalte auf eine Art und Weise zu vermitteln, dass es die Leute verstehen. Wenn die Medien heute etwas wollen, dann ist es Infotainment. Da kommt mir mein Talent zugute.
FACTS: Deshalb der Unmut in der SP? Sie verkaufen sich besser als gestandene SP-Leute.
FETZ: Mag sein, ja. Wer heute in der Liga der nationalen Politik mitmachen will, benötigt - genau so wie die Präsidentin einer Regierungspartei - einfach ein gewisses Anforderungsprofil.
FACTS: Nämlich?
FETZ: Man muss in den wichtigsten Politik-Feldern präsent sein, also Generalistin sein. Plus in den wichtigsten Dossiers vertiefte Kenntnisse haben. Man muss mit der Öffentlichkeit kommunizieren können und klare Werte als Kompass haben.
FACTS: Was heisst das?
FETZ: Raster wie gut und schlecht, rechts und links sind in der Politik und vor allem im Wahlkampf wichtig. Aber spätestens dort, wo es darum geht, Problemlösungen zu finden, ist das nicht mehr hilfreich. Trotzdem kann es nie darum gehen, Politik zu machen, die diesem Kompass, diesen Werten nicht entspricht. Und dort bin ich für mich absolut sicher. Innerlich weiss ich ganz genau, wo diese Werte sind und welche Ziele damit verbunden sind. Da ist mir Wurst, ob Herr oder Frau Sowieso in der SP findet, das sei richtig oder falsch.
FACTS: Das tönt extrem selbstbewusst.
FETZ: Ja, ich mache nämlich nicht erst seit gestern Politik.
FACTS: Kritik lässt Sie kalt?
FETZ: Nein, das lässt mich überhaupt nicht kalt, im Gegenteil. Was ich mir an der SP-Versammlung, an der ich zur Nationalrats-Kandidatin nominiert wurde, anhören musste, das würde ich nicht einmal meinem ärgsten Feind antun. Da hab ich mich gefragt, wie es mit der viel gerühmten SP-Solidarität steht. Ich war noch selten nach einer Veranstaltung derart verletzt.
FACTS: Frau Fetz, ganz ehrlich: Ihnen gefällt es nicht sonderlich in der SP.
FETZ: Doch. Es ist die Partei mit den klarsten Konzepten für die Öffnung der Schweiz. Nur mit der SP wird es gelingen, den Wohlstand in der Schweiz gerecht zu verteilen. Aber es gibt ein paar Leute, die halten sich für moralisch besser. Das stört mich.
FACTS: Sie wollten mal Ministrantin werden.
FETZ: Ja, ja, stimmt. Aber Mädchen wurden nicht zugelassen. Das war, könnte man sagen, der Ursprung meines Feminismus.
FACTS: Jetzt sind Sie Atheistin und wohl bald wieder «hübscheste Nationalrätin».
FETZ: Ich dachte, mit dem Alter würde sich das mit dem «hübsch» legen. Das hat mich früher ziemlich genervt. Ich hatte total Angst, dass ich auf die Rolle der Schönen reduziert und inhaltlich nicht wahrgenommen werde. Unterdessen ist es mir egal. Es hat eine Gleichverschlechterung gegeben. Auch die Männer können nicht mehr rumlaufen, wie sie wollen. Vielleicht sieht man demnächst selbst im Nationalrat ein paar visuelle Überraschungen.
FACTS: Feilen Sie Ihre Fingernägel?
FETZ: Ja, natürlich.
FACTS: Sie haben sich mal als «kooperative Tigerin» beschrieben. Haben Sie Ihre Krallen weggefeilt?
FETZ: Da meinte ich wohl eher die Zähne der Tigerin. Den faulen Kompromiss, den mag ich gar nicht, den hab ich satt. Da werde ich zur Tigerin. Aber eigentlich gilt für mich, dass ich mit möglichst vielen Leuten kooperieren will. Ich halte mehr von Kooperation als von Konkurrenz.
FACTS: Das tönt grässlich versöhnlich. Die neue Nationalrätin Anita Fetz wird, so unsere Prognose, nie mehr eine Ohrfeige bekommen wie damals anlässlich der Tschernobyl-Debatte im Nationalrat.
FETZ: Das will ich hoffen. Es blieb zum Glück beim Versuch. Ich hätte damals zurückgeschlagen und würde das heute noch tun.
FACTS: Wofür würden Sie eine Million Franken einsetzen?
FETZ: Ich würde mal eine freche Kampagne machen für eine offene, selbstbewusste Schweiz. Etwas wirklich Saufreches, das die Schweiz noch nie gesehen hat.