Anita Fetz Medien Echo.  
2001 Viertagewoche für Manager - damit ein Tag fürs Nachdenken bleibt
Interview im Bund vom 30. März 2002

Viertagewoche für Manager - damit ein Tag fürs Nachdenken bleibt
Manch ein Topmanager leide unter akutem Realitätsverlust, diagnostiziert Anita Fetz. Die Kleinunternehmerin und SP-Nationalrätin wünscht sich mehr Querdenker in den Chefetagen. Sie erläutert, warum bei Schweizer Konzernen ein Skandal auf den andern folgt und weshalb sie sich nur bedingt über ausgebuchte Ethikseminare freuen kann.
Frau Fetz, wer wie Sie gelegentlich im Schweizer T-Shirt politisiert, muss stolz sein auf die Schweiz. Sind Sie auch stolz auf die Schweizer Wirtschaft?
ANITA FETZ: Teils, teils. Auf die vielen kleinen und mittleren Unternehmungen, die mit wenig Unterstützung Grossartiges leisten, bin ich sehr stolz. Ich weiss aus eigener unternehmerischer Erfahrung, dass solche Leistungen Respekt verdienen. Was sich einige Konzerne hingegen geleistet haben, ist ausgesprochen imageschädigend für unser Land.
Swissair, Credit Suisse und ABB - diese Schweizer Konzerne standen in den letzten Monaten am Pranger. Rechnen Sie damit, dass sich die Liste der Sünder noch verlängert?
Ich bin sicher, dass noch viel ans Tageslicht kommen wird. Die Stimmen, die nach Transparenz rufen, werden immer lauter. In ein paar Jahren wird jedes grössere Unternehmen ausgeleuchtet sein punkto Lohnstruktur, Interessensbindung des Topmanagements, Umweltverträglichkeit und so weiter. Verbindliche Corporate Governance Regeln werden dafür sorgen. Auch die Konsumentinnen wollen Produkte und Dienstleistungen, die ‚anständig' produziert werden. Der Weg dorthin dürfte für manchen Konzern steinig werden.
Weshalb tun sich viele Konzerne derzeit so schwer?
In den Neunzigerjahren haben sich zahlreiche Grossunternehmen ganz dem Shareholder-Denken verschrieben. Wenn man es genau betrachtet, dachte das oberste Management nicht an die Aktionäre, sondern mehr an die persönliche Macht und Bereicherung. Jetzt, wo die Börsen-Hausse vorbei ist, schlägt die Stunde der Wahrheit. Jene Firmen, welche ihre Gewinne zuvor mit Finanzgeschäften denn mit ihrem Kerngeschäft erzielt haben, erleben nun ein böses Erwachen. Ohne Finanzschönwetter-Mäntelchen ist das Klima bedeutend rauer.
Sie kritisierten mehrfach die Blindheit vieler Topmanager. Was meinten Sie damit?
Wir haben es mit einer geschlossenen Gesellschaft zu tun. In den wichtigsten Positionen der grössten Unternehmen sitzen durchwegs Männer mit gleicher Ausbildung, ähnlichem Alter, gleichen Netzwerken und entsprechend gleichen Interessen. Ein Teil dieses Kreises hat jeglichen Bezug zur Realität verloren. Die Herren sitzen losgelöst in der Business Class, logieren in den immergleichen Hotels, lesen die gleiche Zeitung und verkehren in den immergleichen Kreisen. Diese Homogenität ist ausgesprochen schädlich; denn sie verhindert Innovation, verunmöglicht jegliche Art von Konfliktkultur und begünstigt Auswüchse. Genau daran ist die Swissair gescheitert.
Ist es nicht einfach menschlich, dass jene, die es bis ganz nach oben geschafft haben, ihre Privilegien verteidigen?
Ich finde das nicht sehr menschlich!
Wollen Sie damit sagen, dieser Zirkel bestehe per Zufall aus lauter charakterlosen Individuen?
Für die Situation der letzten Jahre galt leider: Nicht nur mit Leistung, sondern mit Netzwerken kam man ganz nach oben . Der Anpassungsdruck ist enorm gross, Konsens und Konformität standen über allem. Das geht nicht spurlos am Charakter vorüber. Gleichzeitig arbeiten die Topmanager in einem System, in dem nicht Sozialkompetenz und langfristige Unternehmensentwicklung, sondern gute Quartalszahlen und kurzfristige Gewinne honoriert werden. Eine professionelle, über materielle Aspekte hinausgehende und von den Börsenanalysten unabhängige Qualifikation fürs Topmanagement kennt kaum ein Grosskonzern.
So weit Ihre vernichtende Diagnose. Wo wollen Sie den Hebel ansetzen?
Ganz oben und beim Nachwuchs. Die Zusammensetzung von Verwaltungsräten und Management-Teams muss sich radikal ändern. Zukünftig werden nur noch Firmen erfolgreich sein, die Führungskräfte aus verschiedenen Disziplinen und mit unterschiedlichen Perspektiven anstellen. Ja-Sager lähmen ein Unternehmen, Auf einen kurzen Nenner gebracht: Mehr Frauen, mehr Querdenker, mehr Kundenorientierung und mehr HR-Wissen müssen im Management und im Verwaltungsrat vertreten sein. Wichtige Einflussmöglichkeiten bestehen überdies bei der Ausbildung und Selektion des Führungsnachwuchses.
Wer wollte dem widersprechen! Ethik und Sozialkompetenz sind seit geraumer Zeit die Renner auf dem Seminarmarkt - hat sich dennoch nichts verändert?
Es nützt nichts, ethische Fragen an Speziallehrgänge einzelner Universitäten zu delegieren. Profit und Ethik lassen sich nicht trennen. Es stimmt, dass inzwischen jede Uni einen Ethiklehrgang anbietet. Dort sitzen dann alle, die Hörsäle sind voll, und in den Unternehmen geschieht trotzdem zu wenig. Mir wäre es lieber, wenn man fürs Topmanagement die Viertagewoche einführen würde - so bliebe ein Tag fürs Nachdenken, wie man die Renaissance der sozialen Marktwirtschaft in der eigenen Firma konkret umsetzen kann
Kommt die Nationalrätin, Unternehmerin und zweifache Verwaltungsrätin Anita Fetz mit vier Tagen aus?
(Lacht.) Im Moment sind es sechs mit vielen Pausen. Ich bin eine Anhängerin des Phasenmodells: Es gibt Lebensabschnitte, in denen man viel machen kann, und andere, in denen es weniger mehr ist..
Ein Problem vieler Führungskräfte ist der Mangel an Distanz zum eigenen Tun, zur eigenen Person. Wie verschaffen Sie sich trotz vollem Terminkalender diese Distanz?
Ich gönne mir relativ viel Ferien und verbringe jedes Jahr eine Woche davon alleine. Ebenso wichtig sind Sabbaticals, also regelmässige längere Auszeiten. Zentral ist für mich mein kritischer Freundeskreis - er ist mitverantwortlich für viele Richtungsänderungen in meinem Leben. Beim Sport schliesslich kann ich Abstand gewinnen und auftanken.
Schaffen Sie es, sich beim Sport keinerlei Leistungsdruck aufzuerlegen?
Im Sport habe ich keinerlei Ehrgeiz. Ehrenwort. Das führt so weit, dass mein Partner lieber mit seinen Kollegen Velotouren macht, weil ich jeglichen Ehrgeiz vermissen lasse.
Beruflich gelten Sie als ehrgeizig und vielseitig, einige meinen gar zu wissen, dass Sie zu viel arbeiten. Wie schützen Sie sich davor?
In der Regel merkt es meine Assistentin und streicht mir Tage aus der Agenda heraus, so dass ich keinen Termin annehmen kann. Ich leiste es mir, zwischendurch mal zu fehlen, muss keine Angst haben, es säge sofort jemand an meinem Stuhl, wenn ich mal nicht Präsenz markiere. Ich glaube, nur wer 20 Prozent seiner Arbeitszeit unverplant lässt, hat die Kraft und den Freiraum, Aussergewöhnliches zu schaffen.