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22.05.2017 War's das?
Die Globalisierung frisst ihre Kinder.
Die Schweiz ist abhängig: vom Ausland und seinen Rohstoffen. Deshalb ist unser Land an einer Hochseeflotte beteiligt, die unter Schweizer Flagge fährt, damit es in Krisenzeiten nicht vom Weltmarkt abgenabelt wird. Nur, was nützen ein paar Dutzend Kähne, wenn das ganze System der Globalisierung in Schieflage gerät? Vermutlich so wenig wie die millionenteuren Munitionskäufe, die unsere Armee plant. Genau: nichts.

Globalisierung ist kein neues Phänomen, sie steckt im Kern des Kapitalismus. Und trotzdem ist sie nicht einfach nur schlecht: Warum sollten wir in der Schweizer teuer Waren herstellen, wenn es im Ausland andere und bessere Erzeugnisse zu kaufen gibt? Doch wurden Waren aus fernen Ländern früher sündhaft teuer gehandelt – auch weil ihr Transport lang dauerte, aufwendig und zuweilen sehr gefährlich war –, stehen sie heute im Schnäppchen-Regal.

Schuld daran ist die spottbillige Mobilität. Die Tonnage der gehandelten Güter im Schiffsverkehr hat sich innerhalb von vierzig Jahren etwa verfünffacht. Als ich einmal an einem indischen Strand stand, meinte ich eine Fata Morgana zu sehen: Am Horizont schwamm eine Karawane aus Schiffen. Ich war tatsächlich an einer der grossen Schiffsrouten gelandet. Über 60.000 Riesenkähne sind es, die über die Weltmeere fahren – täglich. Angetrieben zum Teil von Abfallfusel, der noch so dreckig sein kann, solange er billig ist. So rentieren sich auch noch Leerfahrten. Ein Teil der Frachter, die ihre Güter nach Europa liefern, hat aus Stabilitätsgründen auf der Rückfahrt nur Brackwasser geladen. Oder manchmal auch – fast gratis – Schweizer Holz, wie ich mir neulich sagen liess.

Nur deshalb, und weil in den südlichen Ländern häufig Sklavenlöhne bezahlt werden, liegen bei uns die Fünf-Franken-T-Shirts im Modegeschäft. Wobei auch teure Markenartikel nicht zwingend sozialer produziert werden: Nur weil ein Brand auf dem Waschzettel der Bluse steht, heisst das noch lange nicht, dass die Näherinnen anständig bezahlt wurden.

Das ist das Problem mit dem Freihandel: Es kämpfen nicht alle mit gleich langen Spiessen. Es zählt allein der tiefste Preis – egal, zu welchen Kosten, solange diese externalisiert werden.

Dabei ist der Freihandel nur dann fair, wenn am Produktionsstandort Löhne bezahlt werden, von denen man vor Ort leben kann. Viel zu oft ist das nicht der Fall. Nicht nur bei den Näherinnen, sondern auch bei der Schiffscrew. Ein Teil dieses Sozialdumpings fällt auf Europa zurück. Die Trennlinie zwischen Globalisierungsgewinnern und -verlieren verläuft längst nicht mehr zwischen erster und dritter Welt. Unterdessen gibt es überall Reiche und Prekarisierte. Das ist es, was die Menschen gefühlsmässig gegen den Freihandel und die Globalisierung aufbringt. Ein Teil von ihnen weiss ganz genau, dass sie in dem Moment für den Rest ihres Lebens abgehängt sind, in dem ihr Job ausgelagert oder von einem Roboter übernommen wird. Die Besetzung einer Fabrik in einer strukturschwachen Region von Frankreich spricht hier Bände: Die verzweifelten Arbeiter haben das Gebäude mit Butangasflaschen vermint und sind entschlossen, es hochgehen zu lassen.

Das ist nur eine von vielen Geschichten aus vielen Ländern, in denen die Protektionisten im Aufwind sind. Dabei ist nicht der Freihandel an sich das Problem. Nein, es fehlt an verbindlichen weltweiten Sozial- und Umweltnormen. Erst diese Wild-West-Ordnung ermöglicht, zusammen mit der fast kostenlosen Mobilität, den ungezügelten Warenverkehr sowie den rasanten technologischen Wandel, der ganze berufliche Existenzen vernichtet. Finden die internationale Politik und die Welthandelsorganisation darauf nicht bald eine menschenfreundliche Antwort, könnte der Freihandel schneller Geschichte sein, als das uns als Exportnation lieb sein kann.
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